Director's Statement
Ich lebe in Deutschland. Schon seit 17 Jahren. Im Laufe der Zeit sind an Stelle vieler meiner russischen Traditionen deutsche getreten. 2002 habe ich einen Deutschen geheiratet und bin Mutter zweier Kinder geworden. Mit Verwunderung habe ich im Laufe der Jahre bemerkt, dass meine Kinder Deutsche sind, und begonnen, mich mit meiner Herkunft auseinander
zu setzen.
Warum bin ich, und mit mir viele andere russische Frauen, Anfang der 90er Jahre hierher gekommen? Was haben wir uns von einem Leben in Deutschland versprochen? Was davon hat sich eingelöst?
Um das herauszufinden, entschied ich mich, meine russischen Freundinnen von damals zu besuchen. Wir sprachen darüber, was wir unter Glück verstehen und stellten uns vor, wie unser Leben verlaufen wäre, wenn wir in unserer Heimat geblieben wären. Während dieser Gespräche merkte ich, dass wir alle mit dem, was wir in unseren Leben erreicht haben, unzufrieden sind, uns aber selbst etwas vormachen, um uns unsere Misserfolge nicht eingestehen zu müssen. Ich wollte begreifen, warum meine russischen Freundinnen sich so schwer damit tun, Schwächen und Fehlschläge zuzugeben.
Wir sind alle ohne Väter groß geworden und haben in unseren starken und beruflich erfolgreichen Müttern ein Vorbild gesehen, dem wir nacheifern wollten. Und so waren wir mit großen Erwartungen und Träumen losgezogen, um unsere Mütter stolz zu machen und unsere eigenen hochgesteckten Ziele zu erreichen. Aber die westliche Demokratie funktioniert anders als die soziale Struktur im kommunistischen Russland. „Man bekommt nichts vom Staat, man muss sich alles selbst erkämpfen. Erfolg kann dauern,“ sagte meine Mutter, als ich sie fragte, warum ich in meinem Leben weniger erreicht habe als sie, als sie in meinem Alter war.
Als ich meine Schwester Olga in Italien besuchte, stellte ich fest, dass sie ihre ehrgeizigen Karrierepläne komplett aufgegeben hat und in der Rolle der Hausfrau und Mutter aufgeht. Obwohl sie fließend fünf Sprachen spricht und ihr
Fremdsprachendiplom mit Auszeichnung bestanden hat, gibt es in ihrer Familie nur eine Sprache – Italienisch. Olga hat mit Russland abgeschlossen. Nachdem sie im Alter von 17 Jahren von einer Gruppe Männer vergewaltigt worden war, hat sie ihrer Heimat den Rücken gekehrt.
Unsere Mutter wusste, dass Olga etwas Schreckliches zugestoßen war, und trotzdem bot sie ihr nie die Gelegenheit, darüber zu sprechen. Inzwischen ist mir klar geworden, dass der Preis, den wir als Töchter für den Erfolg unserer Mütter zahlen müssen, sehr hoch ist.
Als ich meine Mutter darauf anspreche, kippt mein Bild von der starken Frau in das einer überforderten Mutter. Ich spüre, dass sie es bereut. Sie gibt es nur nicht zu. Aber ich fühle mich von dem falschen Idealbild befreit und fange an, einen Menschen in ihr zu sehen, der seine Schwächen hat. Das ist der Grund, warum ich mich entschieden habe "Glücksritterinnen" meiner Mutter zu widmen.